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Befriedigender Sex ist auch mit Diabetes möglich. Die Sexualtherapeutin Dr. Gerit Schütze erklärt, wie das gelingen kann.
Frau Dr. Schütze, wenn es bei Diabetikern im Bett nicht klappt, dann liegt das meist an Erektionsstörungen. Nutzen Ihre Patienten Hilfsmittel?
Ja, vor allem Tabletten wie Viagra. Damit bringen viele Männer wieder eine angemessene Erektion zustande. Ein Problem ist, dass man die Tablette schon einige Zeit vor der sexuellen Begegnung einnehmen muss. Viele nehmen sie vorsorglich – und dann kommt es gar nicht zum Sex. Daraus entsteht oft Frust. Da ist es besser, wenn Paare sich konkret verabreden, indem sie sich gegenseitig zum Sex einladen. Für Männer ist das oft sehr entlastend.
Besonders spontan klingt das aber nicht.
Nein. Es braucht dann alles etwas Zeit und Verständnis von der Partnerin. Bei Frauen mit Diabetes ist es ähnlich: Wenn durch Nervenschädigung die Erregung schwer zu erreichen ist, dann spielt der Zeitfaktor auch bei ihnen eine Rolle.
Sexuelle Funktionsstörungen haben meist körperliche Ursachen. Gibt es auch psychische Gründe, die bei Diabetes den Sex erschweren?
Bei Männern ist das Hauptproblem der Teufelskreis aus Angst, Selbstzweifel, Spannung und zu viel Aufmerksamkeit auf die Frage: Klappt es mit der Erektion oder nicht? Das verhindert, dass sie Aufmerksamkeit auf Erregendes haben. Wenn Stress in die Situation kommt, reagiert immer auch die Muskulatur. Das erschwert die Erektion noch mehr.
Wie sieht es bei den Frauen aus?
Die weibliche Sexualität ist generell störanfälliger. Zum Beispiel, wenn es Probleme in der Beziehung gibt oder kleine Kinder im Haus sind. Bei den Diabetesfrauen ist oft fehlende Lust ein Problem. Manchmal auch als bewusste Entscheidung. Es gibt Frauen, die mit den Wechseljahren sagen: Sex brauche ich jetzt nicht mehr. Für die Beziehung ist das meist schwierig.
Können dann andere Leidenschaften den Sex ersetzen? Zum Beispiel ein gemeinsames Hobby?
Es ist schon auch wichtig, zu sehen: Was verbindet uns überhaupt? Sind das Hobbys, Gedanken, Überzeugungen, gemeinsames Tun? Und gezielt nach etwas zu suchen, wo sich beide wohlfühlen. Aber es geht immer um beide Seiten. Das Thema Berührung, Nähe, Zärtlichkeit sollte man keinesfalls außen vor lassen, weil es ein Grundbedürfnis ist.
Was können Menschen mit Diabetes tun, um trotz Funktionsstörungen eine befriedigende Sexualität zu genießen?
Paare, die offen miteinander umgehen, experimentierfreudig sind und nicht so schnell in Muster verfallen, können den ganzen Blumenstrauß der Sexualität auskosten – und sich nicht nur auf einzelne „Blüten“ konzentrieren. Wissen über den Diabetes und seine Folgen ist dabei natürlich hilfreich. Entscheidend ist, zu schauen: Was können wir für eine Sexualität entwickeln, trotz vorhandener Schwierigkeiten?
Und wenn ein offener Umgang schwerfällt?
Dann kann man sich Rat holen beim Sexualtherapeuten, beim Paartherapeuten oder auch bei Pro Familia. Über Sex zu sprechen ist für viele Paare schwierig. Wenn man seine Wünsche und Bedürfnisse mitteilt, macht man sich quasi doppelt nackig – nicht nur körperlich. Die Angst vor Verletzung und Zurückweisung ist dabei besonders groß.
Wenn es mit der Erektion gar nicht klappt: Wie können sich Paare trotzdem sexuell begegnen?
Oral, mit der Hand, mit Spielzeugen – der Blumenstrauß ist relativ groß. Da kann ein Paar gemeinsam auf Entdeckungsreise gehen und herausfinden, was sich gut anfühlt und befriedigend ist. Eine andere Variante ist es, die Beziehung zu öffnen und Sex mit anderen Menschen zu haben. Diesen Weg gehen auch einige Paare. Da ist aber immer die Gefahr mit im Boot, sich zu verlieben.
Dessous, Massagen, erotische Filme – solche Tipps bekommen Langzeitpaare, die ihr Sexleben auffrischen wollen. Hilft das auch, wenn Diabetes im Spiel ist?
Ja, da greifen dieselben Tipps. Alles, was anders ist, was sich von alten Mustern entfernt, kann anregend sein. Voraussetzung ist, dass man sich damit wohlfühlt – sonst ist es die falsche Empfehlung. Jedes Paar muss prüfen: Könnte das zu mir passen? Traue ich mich das? Übrigens reicht es oft nicht, etwas ganz Neues nur einmal zu probieren. Oft fühlt man sich beim ersten Mal noch nicht wohl. Es kann aber sein, dass sich beim zweiten oder dritten Versuch etwas verändert.
In festen Beziehungen wissen beide Partner über Diabetesfolgen Bescheid. Wie ist es, wenn man sich ganz neu kennenlernt?
Da stehen Männer vor der Frage: Wie teile ich einer neuen Partnerin das Problem mit der Erektionsstörung mit? In meiner Praxis üben wir dazu ganz konkret, welche Formulierung sich eignet. Ich bin immer dafür, mit Informationen ein Stück vorneweg zu sein. Gerade jüngere Männer trauen sich oft nicht, darüber zu sprechen. Wenn die Frau aber nichts davon weiß, entsteht ein Teufelskreis: Der Mann lässt Nähe und Berührung nicht zu, um sich vor erneutem Versagen zu schützen. Die Partnerin denkt, sie sei nicht attraktiv genug und meidet den Kontakt auch.
Mit dem Alter verändert sich der Körper. Welche Rolle spielt es für den Sex in langen Beziehungen, wenn die Attraktivität nachlässt?
„Mein Partner ist für mich nicht mehr attraktiv“ – das höre ich in meiner Praxis häufig. Spannenderweise stellt sich oft heraus, dass es dabei nicht um Äußerlichkeiten geht. Sondern eher um Verhaltensweisen oder den Umgang miteinander. Das kann sogar etwas sein wie „mein Partner ist immer so lieb – aber eigentlich habe ich Sehnsucht nach einem Mann, der klare Ansagen macht.“
Kann man Attraktivität zurückholen?
Ja, wenn beide es wollen. Dazu muss man klären, was man sich selbst unter Attraktivität vorstellt und es dem Partner mitteilen. Dann kann er entscheiden: Gibt es einen Teil in mir, der so sein kann und sein möchte? Wenn ja, geht man gemeinsam auf die Suche.
Manche Paare sind das ganze Leben lang sexuell aktiv. Wie gelingt das?
Dadurch, dass sie neugierig bleiben. Erregung ist bis ins hohe Alter möglich. Aber über die Lebensspanne verändert sich Sexualität. Da kann es sein, dass Berührungen, die vor 25 Jahren richtig waren, jetzt nichts mehr bewirken. Es gilt, viel auszuprobieren und zu schauen, was sich gut anfühlt und wo im Körper Erregung passiert.
Gibt es, neben der Erregung, noch mehr Aspekte, wie sich Sex im Alter verändert?
Der Sex wird langsamer und die Erektion weicher. Eindringen kann man damit trotzdem, dazu braucht es keine sehr harte Erektion. Nur ganz ohne geht es nicht. Das langsamere Tempo kommt Frauen oft entgegen. Die Bedeutung des Koitus geht zurück, der Schwerpunkt verschiebt sich zu Nähe und Zärtlichkeit. Dadurch öffnen sich meist ganz neue Türen.
Interview: Dr. Eva Kröner
Fotos: istockphoto / Goodboy Picture Company, Gerit Schütze